In unserer ersten Ausstellung 2023 „ Über Menschen“ zeigen wir Arbeiten der drei Künstlerinnen
Tatjana Gerhard, Gunilla Jähnichen und Sybille Rath.
Alle drei verbindet, dass sie, jede auf ihre Weise, die menschliche Existenz mit ihren Abgründen beobachten, analysieren, dekonstruieren und anschließend neu zusammenfügen.
Dabei erschafft Tatjana Gerhard manchmal monsterhaft anmutende, beklemmende, puppenartige Wesen, die erstarrt scheinen und aus ihrer Welt in unsere schauen. Das sind keine harmlosen Wesen; sie erinnern uns an unsere Ängste und Alpträume.
Gunilla Jähnichen dekonstruiert auf andere Weise; sie filtert die Essenz der Emotionen heraus, sie vereinfacht die Formen und bringt in ihren Bildern Gefühle wie Wut, Freude oder Angst sehr direkt zum Ausdruck. Es geht nicht darum, möglichst kunstmalerisch ein Gesicht mit einer bestimmten Emotion darzustellen, sondern mit kraftvollen Farben ganz direkt auf die Emotion zuzugehen.
Sybille Raths Arbeiten kommen häufig aus der Dunkelheit, sie behandelt den Menschen, der fragil und verletzlich wirkt und in seinen Prozessen im Bild verfangen ist. Was passiert in dieser seltsamen Szene, was ist los in dieser häufig klassisch anmutenden Bildwelt? Es scheinen oft aus der Zeit gerissene Szenen zu sein, die sie zeigt, Momentaufnahmen, in denen etwas Flüchtiges und auch Bedrohliches in der Luft liegt.
Martim Brion und Guido Winkler Warmweiherstrasse 40
Pedro Boese Warmweiherstrasse 40
Eröffnung Warmweiherstrasse 40 Foto Guido Winkler
v.l.n.r. Pedro Boese | Ver Hilger | Guido Winkler | Martim Brion | Michael Krupp | Rick Vercauteren Foto Jo Magrean
Mit der Ausstellung „Über das was es ist“ werden drei Positionen aus dem Bereich der konkreten Kunst in Interaktion gebracht. Die Künstler arbeiten in verschiedene Medien, Pedro Boese mit klassischen Drucktechniken, vor allem der Radierung, Martim Brion übergreifend in verschiedenen Medien wie Fotografie, Installation und Textarbeiten, Guido Winkler mit Wandmalerei, Malerei und digitalem Druck.
Die drei Künstler gehören derselben Generation an und haben, trotz ihrer sehr unterschiedlichen Biografien und verschiedenen kulturellen Hintergründe doch eines gemeinsam: sie arbeiten alle im Bereich der reduzierten, konkreten Kunst und sind in diesem Bereich bereits bekannt.
In der Ausstellung werden drei verschiedene Herangehensweisen zusammengebracht, um deren Gemeinsamkeiten und Differenzen innerhalb der reduzierten Formensprache auszuloten.
Dabei werden die Arbeiten aufeinander abgestimmt und speziell an die zwei zur Verfügung stehenden Räume angepasst.
Guido Winkler wird zwei grossformatige Wandarbeiten für diese Ausstellung in Bezug zur Architektur des Raumes gestalten.
Sarah Van Marckeerzählt in ihrer Installation die Geschichte des Ortes Walton Hall, des ersten Naturreservates der Welt. Es wurde gegründet von Charles Waterton, der in eine Familie Landadeliger römisch-katholischen Glaubens im Jahr 1782 in Walton Hall geboren wurde.
Dabei geht es ihr um verschiedene Aspekte der Geschichte des Ortes: einerseits die Gründung des Reservates, das finanziert wurde mit Geld, das aus den Kolonien in Guiana stammte, andererseits die private Geschichte derjungen Ehefrau von Charles Waterton, die dort lebte und jung verstarb, bis hin zur heutigen Nutzung als privaterGolfclub.
Im Grunde war Charles Waterton der erste Naturschützer. Nach längeren Aufenthalten in Südamerika, bei denen er sich als Naturforscher betätigte, kehrte er in den 1820ger Jahren in seinen Geburtsort Walton Hall zurück. Er erfand unter anderem den Nistkasten und neue Wege der Tierpräparation. Er definierte ein Gebiet für sein Entenvögel- und Naturreservat, indem er eine fünf Kilometer lange Mauer zog und dort den ersten geschützten Bereich für Tiere auf der Welt auf einem Raum von 120 Hektar etablierte.
Bekannt wurde er auch durch die Einführung des Betäubungsmittels Curare und durch seine Forschungen im Bereich der Naturgeschichte und des Naturschutzes. Er erkannte schon vor allen anderen, dass nicht der Mensch vor derNatur, sondern die Natur vor dem Menschen geschützt werden muss, obwohl in seiner Zeit noch die grundsätzliche Bestrebung vorherrschend war, die Natur in allen Bereichen zu kultivieren und nutzbar zu machen.
Ein Zitat von Charles Waterton:„Where people initially had to protect themselves from nature, nature had to be protected from people. It is a bordered piece of nature, protected from humans, controlled andmanipulated by humans. A controlled, defined land with abiodiversity ideal, mostly based on science, soil research andconservative fetishising of nature. A space subject to an elaborate control organ.“
Mit 47 Jahren heiratete er die 17jährige Anne Edmonston, deren Vorfahren aus dem indigenen Volk der Awaraks stammten, die an der Nordküste Südamerikas in Guiana lebten. Sie starb kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes mit 18 Jahren, wie es scheint, isoliert und alleine. Auf sie beziehen sich die zwei Briefe, die im großen Raum zu sehen sind.
In dem einen schreibt die siebzehnjährige Anne Edmonston ihrer Schwester in einer Art Geheimschrift; nur wer die Handschrift des anderen gut kennt, kann den Brief entziffern. Um den Brief lesen zu können, bedarf es einer besonderen Beziehung. Den zweiten Brief schreibt Sarah Van Marcke während eines ihrer Aufenthalte in Walton Hall an Anne Edmonston. Sie geht auf den geheimnisvollen Brief ein, den Anne an ihre Schwester geschrieben hat und den sie zum Teil
entziffern konnte. Sie fühlt die Einsamkeit und die Nöte der schwangeren Anne, die weit weg von Guiana auf sich gestellt war und unter ihrer Schwangerschaft litt, auch weil sie nichts über diesen Zustand wusste und niemand da war, den sie fragen konnte.
Sarah Van Marcke nimmt die Atmosphäre des Ortes auf und schreibt an Anne, dass das Reservat nun ein Golfclub geworden ist, kalt und groß und mit sehr viel weniger Vogelpopulation. Die Mauer, die einst gezogen wurde, um die Natur zu schützen, schützt heute die privilegierten Mitglieder des Golfclubs.
Im größeren Raum in der Nummer 40 sind Golfbälle zu sehen, die Sarah Van Marcke bei ihren Aufenthalten in Walton Hall in den Büschen gefunden hat- Reliquien einer Gesellschaft, die sich das Naturreservat zu ihrem Vergnügen umgeformt hat.
Im Video dokumentiert sie die heutige akustische und visuelle Gesamtlage des Ortes und verlangsamt die Töne des Vogelgesangs, so dass sie sich nun wie unbekannte exotische, mystische Vögel anhören- eine Referenz zur Geschichte der Kolonialzeit.
Auf den beiden Schaufenstern sieht man zwei Grundrisse. Der eine ist der Grundriss des Golfplatzes- des ehemaligen Naturreservates- mit eingezeichnetem See und Büschen. Der andere ist der aktuelle Grundriss des Ortes Walton in Guiana, der in der Kolonialzeit durch seine Erträge ermöglichte, das Naturreservat in Walton/ Großbritannien zu gründen. Bis heute existiert die alte Aufteilung der Flächen für Plantagen, die jetzt für die Landwirtschaft genutzt werden.
Sarah van Marcke kennt den Ort sehr gut, sie hat sich mehrfach dort aufgehalten und seine Atmosphäre aufgenommen. Sie erzählt die unterschiedlichen Geschichten dieses Ortes, indem sie Dinge, die sie gefunden hat - Golfbälle - den letzten erhaltenen Brief von Anna Edmondson, Film und Fotos miteinander verknüpft und in einer Gesamtinstallation zusammenbringt. (Text Vera Hilger)
“El grotto”, 2023, Dibond, Schwarzer Aluminium Rahmen 60 x 80 cm, Fine art print
Productivity, Challenge, Titanium, Pro Power, Pro Staff, Top Flite, Black Diamond, …”, 2023, 20 found golfing balls in constellation on wall,
unique piece
"Terrirtorial Drift 1",2018, Mounted on dibond, framed black, 60cm x 85cm, an edition of 6+1
"The Molding Principle I”, 2017, Mounted on dibond, framed gold, 60cm x 90cm,
an edition of 6+1
"The Molding Principle II”, 2017, Mounted on dibond, framed gold, 60cm x 90cm,
an edition of 6+1
Dear Anne,
I am at the window on the 2nd floor in the north wing of your house. I closed the curtains behindme, so the space I’m in is the size of the windowsill. To my right is a large window and anexpansive view, and to my left is a thick textile wall of wool. My right arm feels cold from thewindow glass and my legs are raised to fit the space.
Up until I found this tiny space, I didn't getaround to writing to you. This house, these grounds, it’s so big and cold. The house has turned intoa hotel now and the grounds around it is no longer the world's first nature reserve.
It has become aprivate golf club. The wall around it is still there – partly. It doesn’t protect birds now, but golfers.
I have your last letter with me (or at least the last known and preserved one, two centuries into thefuture). The letter is completely different from your previous ones. This one looks wilder, feelswilder.
At midway in your writing you switched directions vertically, in a 90° turn. A geometricmarvel, but hard to decipher.
It seems to have become code, only to be cracked by the receiver ofthe letter - your sister, who knew your handwriting inside out. There is intimacy in knowing one’shandwriting. I love seeing my own name on an envelope and instantly knowing who the sender is,even if that person hasn't written to me in years.
You write about your pregnancy, about clothes, patterns, linen - and in your scribbling, I also readabout shame.
Shame about your young body and what it’s undergoing. I sense loneliness. Allalone in this vast domain, cut off from the world – measurelessly distant from your world, Guiana.
You write about your frequent vomiting. I also threw up a lot during my pregnancy. Once I threwup so abruptly – the cold food didn’t warm in my stomach, slid back up cold through my gulletand out of my body. Cold vomit. I thought that was funny. You are undergoing this pregnancy allby yourself, the child in your womb and a thousand birds on the domain. Flocks swarming aroundthe house, on the lake, in the trees. They are still around, less in diversity and quantity, I’m sure.
But as a city person, I am stupefied by the birds here, especially at the window with the view overthe estate, the golf carts gliding by from behind the bushes, on their way to the next green.
Usually when I come to the estate, I move around through the small bushes and shrubs hiddenfrom the fairways and greens. The brambles covering the bushes make it impossible for golfers tofollow me. Protected with my thick plastic rainwear, I can get anywhere. It's dark and damp there.
Large ferns grow among the ruins and remains of the wall. Birds, squirrels, deer, frogs ... it isalmost fairytale-like. I crawl deeper and deeper into the underground, into the peaty soil, andlisten. I hear the birds.
There is something magical in deconstructing birds’ sounds. It’s mathematical, strings of repetitivetones in precise intervals, never skipping a beat. A little in the distance I hear deep men's voicesechoing off the great plains. Their voices are not muffled, rather carry on across the wideness ofthe golf course.
Yesterday, an elderly lady told me that during labor, her great-great-grandmother did not knowhow the baby would come out of her body... she had no clue. Would she cough it up? Catch it?
Would her belly button burst, or her tummy just explode? The horror...
Love,
Sarah
"Terrirtorial Drift 2",2018, Mounted on dibond, framed black, 60cm x 85cm, an edition of 6+1
"Terrirtorial Drift 3", 2018, Mounted on dibond, framed black, 60cm x 85cm, an edition of 6+1
"Terrirtorial Drift 4", 2018, Mounted on dibond, framed black, 60cm x 85cm, an edition of 6+1
Ein Brief Anne Edmonston an ihre Schwester in einer Art Geheimschrift
Sarah Van Marckes Brief an Anne Edmonston
m e h r S t o f f
Claudia Kallscheuer
Katharina Schnitzler
Ausstellung vom 24.11. 2023 bis 17.01.2024
Eröffnungsrede Michael Schneider
Warmweiherstrasse 40
Warmweiherstrasse 40
Warmweiherstrasse 40
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Warmweiherstrasse 23
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Warmweiherstrasse 23
Claudia Kallscheuerund Katharina Schnitzler beobachten ihre Umgebung, das Wetter, sich selbst und den Lauf der Dinge, lassen Eindrücke sacken, verarbeiten sie und am Ende nehmen diese Beobachtungen eine neue materielle Gestalt an und ihre Kunstwerke werden geboren.
Beide machen Arbeiten, die etwas vom Leben erzählen, sehr nahbar und poetisch, sie sind direkt an die Menschen gerichtet.
Der Physiker Heisenberg stellte die bis heute nicht widerlegte Theorie auf, dass es nicht möglich sei - vereinfacht gesagt - etwas überhaupt objektiv zu messen, denn im dem Moment, wo das Messinstrument sich dem zu messenden Objekt nähert, verändert es schon dessen physikalisches Umfeld.
Wenn Künstler Messinstrumente für die umgebende Welt sind, die die Schwingungen und die Atmosphäre beobachten, analysieren und verarbeiten, dann stellt sich unmittelbar die Frage: verändert sich das Wetter, wenn Claudia Kallscheuer es beobachtet? Verändert sie sich auch selbst, wenn sie Ihre Gefühle beobachtet?
Verändert Katharina Schnitzler die Realität, wenn sie etwas ansieht, das nachher Eingang in ihre Bilder findet? Erstmal würde man sagen: nein.
Es wird wohl weiter regnen, egal, ob Claudia Kallscheuer oder Katharina Schnitzler gerade hinschauen oder nicht- aber wirklich zu beweisen ist das nicht.
Natürlich sind Künstler:innen keine Messinstrumente, die auf Objektivität ausgerichtet sind, sondern sie verarbeiten subjektiv und wälzen Themen um, doch eine wirklich objektive Messung ist laut Heisenberg selbst mit wissenschaftlichen Methoden gar nicht möglich. Also ist die Schaffung eines Kunstwerkes vielleicht genauso wahr als Beschreibung der Welt wie ein wissenschaftlicher Versuch?
Eines ist sicher: beide verändern als Künstlerinnen die Welt sowieso schon, indem sie etwas erzeugen, das es vorher noch nicht gab.
Ob schon allein ihre Beobachtung der Welt sie auch verändert, ist eine offene Frage.
Claudia Kallscheuer ist gelernte Damenschneiderin und studierte im Anschluss Modedesign und Malerei. Ihre Liebe zum Textilen und Handwerklichen, die in ihren Installationen, Objekten und Wand-arbeiten zu spüren ist, bildet einen wesentlichen Bestandteil ihres Werkes. Darin thematisiert sie Alltagsbeobachtungen wie die Wetterlage, Telefonate oder Begegnungen, von Hand gestickt auf Stoffe, Sessel oder auch Teebeutel.
Ihre autobiografische Herangehensweise und ihre Feinfühligkeit im Umgang mit ihrem Material berührt unmittelbar.
Katharina Schnitzler studierte zunächst Kunsttherapie und Kunstpädagogik, bevor sie ihren Master of Art an der UdK Berlin machte.
Sie ist Malerin und eine Meisterin der Mischtechnik. Oftmals besteht der Hintergrund aus unzähligen Schichten, die den Pinselstrich, Strukturen und Muster miteinander verschränken, so dass ein nicht genau bestimmter, aber spürbarer Raum entsteht. Dabei unterstreicht Schnitzler die Materialität der Arbeit; die Strukturen erinnern an Ausschnitte von Stoffbahnen oder geprägten Ornamenttapeten.
„Ich möchte, dass meine Bilder vielschichtig sind, dass die oder der Betrachter:in sie nicht leer sieht, sondern seine subjektive Wahrnehmung das Bild immer wieder verändert. Der Facettenreichtum allen Seins beinhaltet Momente, in denen alles möglich scheint“ sagt Katharina Schnitzler über ihr künstlerisches Anliegen.
In unserer Ausstellung „mehr Stoff“ werden die Arbeiten der beiden Künstlerinnen - verwandt durch die Intensität der Auseinandersetzung mit ihrem Material- miteinander in Beziehung gesetzt.
Die offenen Räume in der Malerei von Katharina Schnitzler treffen auf die offenen Gedankenräume von Claudia Kallscheuer.
(Text Vera Hilger)
RUND TONDO #2260 2022
Mischtechnik aud Stoff / LW ø 170 cm
RUND TONDO #2314 2022
Mischtechnik aud Stoff / LW ø 170 cm
RUND TONDO #2260 2022,
Mischtechnik aud Stoff / LW ø 170 cm
La dolce vita - Reverse
2022 / 2023
Aquarell auf Papier , 3 Bilder übereinander gestapelt