Gunilla Jähnichen
Smile
Acryl auf Leinwand
30 x 24 cm
Ausschnitt aus der digitalen Projektion
Inventar/Inventur, 2008 / 2024
2008 Digitale Projektion, 16:9, 60 mn
Auf der Suche nach der Kreuz 9
Lieferkette
2024 Elektrokinetisches Wandobjekt
Schienenoval 4,2 m x 0,8 m
9 Beweger werden über „Time Of Flight“- Sensoren auf Abstand gehalten.
Start über Handhebel, stoppt automatisch nach 4 Min.
Metalle, Kunststoffe, Elektronik
TiK Tok pipe on line
2024 Elektrokinetisches Klangobjekte
2 metallene Klangröhren werden von einem hin und her pendelnden Schienentriebwerk angestoßen.
Distanzsensoren (TOF) mit Anzeigedisplay sorgen für die Umkehr.
Metalle, Kunststoffe, Elektronik
290 x 154 x 45 cm
Where are we, pixelwise ?
2023
Videoobjekt
Eine eingebaute Videokamera sendet die Daten an das grobgerasterte ( 25 x 25 ) LED-Display
und zeigt das Spiegelbild des Betrachters.
Das Display ist eingefasst in ein leicht verzogenes spiegelblankes Edelstahlblech.
Metalle, Elektronik, Videotechnik
80 x 80 cm
Pixel Parcel Autosphere
2002
Elektrokinetische Skulptur
Aluminium, elektronische und mechanische Komponenten
25 Black Boxes bewegen sich permanent auf 5 Ebenen hin und her und hoch und runter
H 240 cm
Stadtbäumer. Raum für Gäste, Aachen, Eröffnungsrede Anna Wondrak, 15.11.2024
Vieles in unserem Leben ist nicht so wie es scheint. Wir selbst eingeschlossen. Dass Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht immer übereinstimmen haben wir alle schon mehrals einmal am eigenen Leib erlebt. Und dass sich darüber hinaus eine nähere Betrachtung der Dinge oftmals lohnt und Überraschendes offenbaren kann, das werden Sie heute Abend sicherlich erfahren.
Wenn Sie sich hier im Raum für Gäste umsehen werden Sie feststellen, dass sich auf den ersten Blick zwei völlig unterschiedliche Künstlerinnen gefunden haben. Die eine, Julia Kissina, arbeitet figurativ und zeichnerisch, die andere, Alix Stadtbäumer, arbeitet abstrahiert und skulptural. Auch auf den zweiten Blick bleibt einiges differenziert, doch es gibt auch viele Gemeinsamkeiten und ähnliche Themen, die beide Künstlerinnen bewegen und auf unterschiedliche Art und Weise umkreisen. Ein essenzieller gemeinsamer Nenner ist definitiv eine erzählerische Komponente, eine Verbindung mit der Natur sowie märchenhafte, ja surreale Elemente; was sich aber bei beiden ganz anders manifestiert.
Julia Kissina begann erst mit Beginn der Pandemie, also 2010, intensiv mit dem Zeichnen. Davor hatte sie dieses Medium knapp 30 Jahre kaum bedient, vielmehr zählten Performances, Aktionen und vor allem Fotografie zu ihren künstlerischen Ausdrucksmitteln. So brachte sie im Jahr 2000 eine ganze Schafsherde ins MKK Frankfurt. Ein Kunstwissenschaftler erklärte den Tieren dann die Ausstellung.
In ihren Fotografien rückt ein ungewöhnlicher Fokus auf Details oder überraschende Bildausschnitte das Dargestellte in ein anderes Licht und einen anderen Kontext. Dieser Aufbau von zum Teil absurd komisch oder surrealistisch anmutende Szenerien, in denen Julia Kissina gezielt auch mit widersprüchlichen Gefühlen der Betrachter spielt, findet sich ebenfalls in den Zeichnungen wieder, von denen Sie heute hier einige sehen können.
Julia Kissina wurde in Kiew geboren, studierte Dramaturgie in Moskau und Bildende Kunst an der Akademie in München. Sie lehrte als Professorin für Neue Medien und Kunstfotografie und lebt in Berlin und New York. In diesen beiden Städten findet sie maßgeblich Eindrücke und Inspiration, aber auch Gegensätzliches und Abgründiges. All das fließt in ihre Kunst mit ein. Neben der bildenden Kunst ist sie auch als Schriftstellerin tätig und Autorin mehrerer Romane und Erzählungen, die in ganz Europa übersetzt wurden. Diese Verbindung ist in ihren Zeichnungen spürbar, in denen stets auch ein poetischer Moment mitschwingt.
Julia Kissina hat keine Angst vor Fülle. Ihre dicht gewebten Bilderwelten wirken wie Wimmelbilder für Erwachsene und offenbaren immer wieder neue Details. Dabei vermischen sich Elemente aus der Realität mit fantastischen Welten. Diese Landschaften bieten einen Rahmen für das Drama menschlicher Emotionen und Aktionen sowie den utopischen Wunsch nach einem perfekten Leben.
Elegante Abendgesellschaften mit Pelz und Perlen grinsen einander geschäftig an, man amüsiert sich prächtig, oder halt, nein, manch Lächeln scheint angestrengt zu einer Fratze verzogen auf dem Gesicht zu erfrieren. Ich musste an die gestellten Familienbilder von früher denken, alle mal lächeln, schaut her, jaaa, uns geht es super. Im Rampenlicht muss man performen. Und der ältere Herr auf einer Zeichnung, Moment, das ist ein Affe, der sich unter das geschäftige Treiben mischt; er fällt kaum auf. Mäntel haben Augen, und man fragt sich unwillkürlich: trägt nun der Mensch den Pelz – oder der Pelz den Menschen?
Ein anderes Bild zeigt eine Gruppe chimärenhafter Wesen mit fröhlichen Fratzen, halbTier, halb Mensch; sie tanzen ekstatisch auf einer Wiese, während die Fliegerstaffel den Himmel schon verdunkelt, aber zum Glück, links hinten winkt ein Vergnügungspark und lockt mit einem großen Schild: „Utopia“. So nah und doch so unerreichbar fern. Und so sieht man die groteske Gruppe vor seinem inneren Auge schon im Kreise drehend Richtung Park torkeln, die Natur zertrampelnd und sie als Setting für ihre absurde Zusammenkunft verwendend.
Unsere Gesellschaft, unsere Welt befindet sich in einem Umbruch. Utopia – dieser Begriff taucht immer wieder auf in den Zeichnungen und verweist auf die Diskrepanz bzw. den Konflikt von Realität und Idealen – die Welt, von der wir vielleicht träumen, ist nur eine Wunschvorstellung und nicht real, die Sehnsucht der Menschen danach jedoch schon. Viele der Figuren von Julia Kissina sind überzeichnet und bekommen dadurch auch etwas Tragisches. Trotz ihrer schicken Aufmachung gewähren sie einen Blick hinter die Kulissen, zeigen auch ihre wahre Fratze hinter dem schönen Schein. Doch egal wie grotesk, hässlich, unbeholfen oder verzweifelt sie vielleicht auch sind, sie alle wollen gesehen werden. Man denke nur an die sozialen Medien, die permanent Öffentlichkeit herstellenund oft zu einem hohen Druck führen, perfekt zu sein. Doch wenn die Masken fallen, sind wir alle nur Menschen, mit Stärken, Schwächen, Zuversicht und Unsicherheiten.
Die Verbindung von Mensch und Natur bzw. der menschliche Eingriff in dieselbe zieht sich durch alle Bilder. Aber auch die Natur erobert sich selbstbewusst den menschlichen Lebensraum zurück. Geparden, Elefantenherden, Bären oder Hirsche bahnen sich ungerührt ihren Weg. Man fragt sich, ob sie Geister einer Vergangenheit oder tröstliche Zukunftsvision sind. Und dann gibt es immer wieder Wasser: riesige Bohrinseln mitten im Ozean, die den Naturgewalten zu trotzen versuchen. Oder ein Schiff namens Utopia, von dem geisterhafte Gestalten starren. Ich muss an die Arche Noah denken – nur frage ich mich, ob die Tiere das nächste Mal uns Menschen mitnehmen werden?
Immer wieder tauchen in Julia Kissinas Zeichnungen auch versteckte politische Botschaften, Anspielungen auf die 50 bis 70er Jahre und Filmfiguren als wesentlicher Teil unseres kulturellen Bewusstseins auf. Unsere Wohlstandsgesellschaft wird karikiert:
Menschengruppen vollziehen wunderliche Rituale oder Zeremonien, die seltsamen Regeln zu folgen scheinen. Und: 50 shades of grey. Julia Kissina nuanciert jedes einzelne Bildelement und lässt die verschiedenen Szenen und oft parallel laufenden Erzählstränge innerhalb der Bilder collagenartig, doch mit dem Mittel der Zeichnung, ineinandergreifen.
Dabei wechseln sich schemenhaft skizzierte Silhouetten mit fein ausgearbeiteten Figurenab und geben einander den nötigen Raum. Trotz ihrer Monochromie wirken die Zeichnungen deshalb äußerst lebendig.
Die großformatige Malerei mit dem Titel „Dreamland“ wirkt ein bisschen wie ein Bühnenbild. Ist es eine Einladung, in dieses traumhafte Land einzutauchen? Der rauchende Vulkan, das Riesenrad und die freundlichen, aber überdimensionierten Wesen im Vordergrund hinterlassen gemischte Gefühle. Es ist schwer zu sagen, ob „Dreamland“ ein Versprechen oder eine Drohung ist. Sie entscheiden.
Standen Sie gerade noch gedanklich in einem Wald, so sehen Sie nun, was davon übrig bleiben könnte, wenn der Mensch damit fertig ist. Auch die Bildhauerin Alix Stadtbäumer ist eine meisterhafte Erzählerin. Sie arbeitet mit den unterschiedlichsten Materialien, von Zeichnung über Druckgrafik, Skulptur bis hin zu Installationen und Kunst am Bau Projekten und im öffentlichen Raum, von denen sie in den letzten Jahrzehnten zahlreiche realisiert hat. Oft sind es überdimensionierte Alltagsgegenstände, wie z.B. eine deckenhohe Wärmflasche, die durch ihre Größe etwas Surreales bekommen.
Alix Stadtbäumer wurde in Münster geboren, studierte an der Kunstakademie in München und an der Rijksakademie Amsterdam. Sie erhielt neben anderen Auszeichnungen ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für London sowie den Förderpreis und das Förderstipendium der Stadt München. Stets erforscht sie die Beziehungen zwischen dem Betrachter, der Umgebung und der Architektur und schafft mit ihrer Kunst neuen Raum für Ideen.
Neben der Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen schöpft sie aus dem Fundus der Natur und deren Formen, die sie auf klare Grundmuster reduziert und mit unterschiedlichen Materialien wie Metall, Gummi oder Gips in eine erzählerische Bildsprache übersetzt. Besonders Bäume sind ein häufig wiederkehrendes Motiv. Dabei sind Bäume hier keine in voller Blätterpracht stehenden Pflanzen. Wie Sie sehen können, haben die Baumstümpfe weder Äste, noch Blätter, noch Öffnungen. Durch die Vereinfachung der Formen bekommen die Baumstämme eine torsihafte und figurative Anmutung. Alix Stadtbäumer verwendet unterschiedliche Materialien, was man nicht nur sieht, sondern auch erspüren kann.
Der in Gummi gegossene Löffelbaum stammt aus den 1990er Jahren, als Alix Stadtbäumer anfing, sich mit dem Thema Bäume zu beschäftigen. Während ihrer Zeit in London fiel ihr damals auf, wie viel Einfluss das Wetter auf die Formen der Natur hat, wie sich Bäume je nach Platz drehen und winden, wie sie schief werden oder kleineAusstülpungen entwickeln. Fast immer aber finden sie einen Weg, um zu wachsen. Die Vorbilder zu diesem Baum hier finden sich in der Heimatstadt der Künstlerin in alten romanischen Kirchenreliefs. Alix Stadtbäumer verwendet keinen Naturkautschuk, sondern Kunststoff. Dadurch schreibt sie dem Baum neue Eigenschaften ein, er kann nicht mehrbrechen.
Wenn Sie sich auf den großen, mit weißem Gips modellierten Baumstamm zubewegen spüren sie, dass er innen hohl ist. Auch hier gibt es keinen Eingang, kein Guckloch – der Baum verbirgt sein Innenleben vor dem Betrachter. Seine glatten Schnittstellen wirken fast ein wenig wie matte Spiegel, die den Blick auf einen selbst zurückwerfen.
Bäume als Symbole haben eine lange und tiefgreifende Bedeutung in unserer Kultur und Geschichte. Als religiöse und mythische Sinnbilder stehen sie für Leben, Hoffnung und Glaube und verweisen auf die tiefe Verbundenheit von Mensch und Natur. In der Landschaft dienten sie besonders früher als Grenzmarkierungen und Treffpunkte.
Dass Waldbaden einfach guttut und Bäume als nachhaltiger Rohstoff und Reinigungsinstrument unserer Luft eine wichtige Rolle spielt, ist bekannt. Es gibt also viele verschiedene Konnotationen, aus denen jeder von Ihnen seine eigenen Bezüge herstellen darf.
Ein bisschen Farbe ist Ihnen sicherlich auch schon ins Auge gefallen. Auf dem Boden liegen Blumenkelche. In diesen abstrakten Tulpenformen aus Pappe lebt Alix Stadtbäumer ihre Lust an Konstruktion und Abstraktion aus und zeigt die Klarheit und Schönheit der
Tulpenformen.
Im zweiten Raum auf der anderen Straßenseite sehen Sie neben weiteren Zeichnungen von Julia Kissina noch eine von der Decke abhängende orangene Schlaufenform von Alix Stadtbäumer. Wie in vielen anderen ihrer Skulpturen findet sich auch hier eine klare Formensprache, wobei die formale Klarheit eine inhaltliche Mehrdeutigkeit absolut zulässt, ja sogar erwünscht. Die ineinander verschlungene organische Form ohne Anfang und Ende könnte eine Pflanzenfaser sein, oder ein Zellstrang. Wenn Sie sich im Raum um die Skulptur herumbewegen, verändert sich naturgemäß ihre Form ständig und weckt die verschiedensten Assoziationen.
Der Gegensatz von Modelieren mit einem weichen Material und dem Konstruieren ist eine Vorgehensweise, die Alix Stadtbäumer schon seit ihrer Zeit an der Kunstakademie in München bevorzugt, ermöglicht doch jede Technik eine andere Herangehensweise für die Umsetzung ihrer Ideen.
Der Ausstellungstitel „Ein Ort, den es nicht gibt“ verweist zum einen auf seine Nichtexistenz als utopisches Konstrukt aber gleichwohl verorten die gezeigten Zeichnungen und Skulpturen diesen Ort hier im diesem Raum und somit in der Realität. Hat man in den Arbeiten von Julia Kissina und Alix Stadtbäumer die erste Ebene der rein ästhetischen Wahrnehmung erst einmal durchschaut, gerät man in einen tiefgründigen Strudel menschlicher Emotionen, die den Betrachter mit Fragen nach der eigenen Positionierung in dieser Welt und der Sinnhaftigkeit des Lebens konfrontieren.
Beide Künstlerinnen, wie eingangs erwähnt, verbindet das Erzählen von Geschichten. Dabei werden diese Geschichten gar nicht unbedingt zu Ende erzählt, es wird nicht alles ausgesprochen. Beide erforschen unsere schwankende Beziehung zwischen Realität und Unterbewusstsein und hinterfragen unsere Beziehungen zur Natur.
Die Pianistin Helene Grimmaud hat einmal gesagt „Es gibt Entspannung nur in Balance mit Anspannung. Ohne Anspannung keine Form, dann ist alles flach, tote Zeit.“
Es gilt also, die perfekte Balance im Leben zu finden. Gerade mit der inneren Fragilität unseres Seins und den Konstruktionen, die wir Menschen so kreieren, ist dies jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. Genießen Sie deshalb jetzt die Ausstellung und schauen Sie sich die Arbeiten genau an – denn sie beweisen, dass es sich durchaus lohnt querzudenken, neu zu kombinieren, und eine Ausgewogenheit von innen und außen, Sein und Schein, auch mal anders auszulegen – dann findet man die Balance überraschenderweise vielleicht da, wo man sie nie vermutet hat – das gilt nicht nur für die Kunst, sondern auch fürs Leben.